Literatur Corner die 2te

Dieses Thema im Forum 'Archiv Rest' wurde von killle gestartet, 4 Oktober 2015.

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  1. Witchqueen75

    Witchqueen75 Lebende Forenlegende

    Reine Handarbeit

    Wir stricken unser Leben.
    Manche wählen ein kompliziertes Muster,
    andere ein schlichtes.
    Es ist ein buntes Maschenwerk
    oder ein Stück in tristen Farben.

    Nicht immer können wir
    die Farbe selber wählen;
    und auch die Qualität der Wolle wechselt,
    mal weiß und wolkenflauschig,
    mal kratzig und hart.

    Die einen stricken liebevoll und sorgsam,
    andere mühevoll und ungern.
    Und so manchmal schmeißt einer
    das Strickzeug in die Ecke.

    Und öfters läßt du eine Masche fallen,
    oder sie fällt ohne dein Zutun.
    Du hast die Nadeln in der Hand!
    Du kannst das Muster wechseln,
    die Technik oder das Werkzeug.

    Nur aufribbeln
    kannst du nicht
    ein klitzekleines Stück.


    (c) Kristiane Allert-Wybranietz


    Edit*Tabaluga*: Hinterlegten Fremdlink entfernt
     
    Zuletzt bearbeitet von Moderator: 31 Dezember 2015
  2. =Aponi=

    =Aponi= Lebende Forenlegende Team Farmerama DE

    das hier ist mein Lieblingsgedicht

    Theodor Fontane

    John Maynard

    Wer ist John Maynard?
    John Maynard war unser Steuermann,
    aushielt er, bis er das Ufer gewann,
    er hat uns gerettet, er trägt die Kron',
    er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

    John Maynard.

    Die Schwalbe fliegt über den Erie-See,
    Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
    von Detroit fliegt sie nach Buffalo
    die Herzen aber sind frei und froh.
    Und die Passagiere mit Kindern und Fraun
    im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
    und plaudernd an John Maynard heran
    tritt alles: "Wie weit noch, Steuermann?"

    Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
    "Noch dreißig Minuten ... Halbe Stund."
    Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei -
    da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei.

    "Feuer!" war es, was da klang,
    ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
    ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
    und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.

    Und die Passagiere, bunt gemengt,
    am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
    am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
    am Steuer aber lagert sich´s dicht,
    und ein Jammern wird laut: "Wo sind wir? wo?"

    Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo.

    Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
    der Kapitän nach dem Steuer späht,
    er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
    aber durchs Sprachrohr fragt er an:
    "Noch da, John Maynard?"
    "Ja,Herr. Ich bin."

    Auf den Strand! In die Brandung!
    Ich halte drauf hin.
    Und das Schiffsvolk jubelt: "Halt aus! Hallo!"

    Und noch zehn Minuten bis Buffalo.

    "Noch da, John Maynard?" Und Antwort schallt's
    mit ersterbender Stimme: "Ja, Herr, ich halt's!"
    Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
    jagt er die Schwalbe mitten hinein.
    Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.

    Rettung: der Strand von Buffalo!

    Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
    Gerettet alle. Nur einer fehlt!
    Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n
    himmelan aus Kirchen und Kapell'n,
    ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
    ein Dienst nur, den sie heute hat:

    Zehntausend folgen oder mehr,
    und kein Aug' im Zuge, das tränenleer.
    Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
    mit Blumen schließen sie das Grab,
    und mit goldner Schrift in den Marmorstein
    schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

    "Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
    hielt er das Steuer fest in der Hand,
    er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
    er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
    John Maynard."
     
    Eibemme75, bimima, cooley und 7 anderen gefällt dies.
  3. killle

    killle Lebende Forenlegende

    Oh =Aponi= danke dafür, auch eines meiner Lieblingsgedichte bei dem mir immer wieder Tränen in die Augen steigen
     
    9140denise gefällt dies.
  4. *Unikorn*

    *Unikorn* Guest

    Ich habe neulich ein wunderschönes Gedicht gehört und dachte mir, das zeig ich euch mal:

    Wenn ich mein Leben
    noch einmal leben könnte, im nächsten Leben,
    würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen.
    Ich würde nicht so perfekt sein wollen, ich würde mich mehr entspannen.

    Ich wäre ein bisschen verrückter als ich gewesen bin,
    ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.
    Ich würde nicht so gesund leben.

    Ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen,
    Sonnenuntergänge betrachten,
    mehr bergsteigen, mehr in Flüssen schwimmen.

    Ich war einer dieser klugen Menschen,
    die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten;
    freilich hatte ich auch Momente der Freude,
    aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,
    würde ich versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben.

    Falls Du es noch nicht weißt,
    aus diesen besteht nämlich das Leben;
    nur aus Augenblicken, vergiss nicht den jetzigen!

    Wenn ich noch einmal leben könnte,
    würde ich von Frühlingsbeginn an bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen.
    Und ich würde mehr mit Kindern spielen,
    wenn ich das Leben noch vor mir hätte.
    Aber sehen Sie… ich bin 85 Jahre alt und weiß,
    dass ich bald sterben werde.

    Jorge Luis Borges
     
    tetrapaktomate, bimima, cooley und 5 anderen gefällt dies.
  5. killle

    killle Lebende Forenlegende

    Meine unversehrten Damen und Herren, überschätze Gäste, ich begrüße sie zu diesem zwölften Wohltätigskeitsbrunch für notleidende Kinder in Afrika; ein Motto das ebenso verlogen ist wie das Publikum zu dem ich heute sprechen muss...

    Im vierzehnten Jahrhundert gab es eine wunderbare Praxis der katholischen Kirche - die Praxis des Ablasshandels. Hatte man gesündigt, warf man etwas Geld in den Klingelbeutel, und - schwups -war man exkulpiert.
    Wenn ich meinen Blick heute in die Runde schweifen lasse und all die feisten Männerleiber sehe, die selbstgefällig die Hände ihrer ausgehungerten, lächerlich jungen Ehefrauen tätscheln, scheint es mir, als glaubten viel von Ihnen, diese Unsitte des Mittelalters wäre noch nicht abgeschafft...

    Sie sitzen hier auf Ihren breiten Ärschen, säbeln mit einem Silbermesser durch das Kotelett und hoffen, mit jedem Bissen ein wenig mehr aus dem Radius ihres persönlichen Fegefeuers treten zu können.

    Ihr verlogenen bigotten Heuchler wollt euch freikaufen.
    Aber ich habe eine schlechte Nachricht für euch alle im Raum: Ihr habt die fünfzehnhundert Dollar für das Sechs-Gänge-Menü umsonst bezahlt. Eure Sünden werden euch nichtvergeben.
    Ihr alle bleibt das, was ihr seid: Mörder. Und ihr alle werdet eines Tage dafür büßen.

    Aus Noah von Sebastian Fitzek
     
    Zuletzt bearbeitet: 7 Januar 2016
    keki6464, bimima, cooley und 4 anderen gefällt dies.
  6. AUK1

    AUK1 Lebende Forenlegende

    Kille,ich hab Gaensehaut gekriegt.
    Fuer mich ist immer noch Hermann HEsse mein FAvorit.Hab alles gelesen,was es von ihm gibt.Bin selbst in Indien gewesen und seinen Spuren gefolgt
     
    cooley gefällt dies.
  7. tetrapaktomate

    tetrapaktomate Lebende Forenlegende

    H.C.Flemming, Winterliebesgedicht


    weilessokaltist
    ziehensichdiewörterzusammen
    aufdempapier
    undwir
    rückenauchganznah
    zusammen
    dannkönnenwiruns
    liebenundwärmen

    winterdukannstunsmal
     
    keki6464, bimima, cooley und 7 anderen gefällt dies.
  8. killle

    killle Lebende Forenlegende

    Liebes-Lied
    Wie soll ich meine Seele halten, daß
    sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
    hinheben über dich zu andern Dingen?
    Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
    Verlorenem im Dunkel unterbringen
    an einer fremden stillen Stelle, die
    nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
    Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
    nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
    der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
    Auf welches Instrument sind wir gespannt?
    Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
    O süßes Lied.

    Rainer Maria Rilke
     
    bimima, cooley, Lottchen und 2 anderen gefällt dies.
  9. Jane_Doe51

    Jane_Doe51 Lebende Forenlegende

    Die leise Wolke

    Eine schmale, weiße
    Eine sanfte, leise
    Wolke weht im Blauen hin.
    Senke deinen Blick und fühle
    Selig sie mit weißer Kühle
    Dir durch blaue Träume ziehn.
    Herrmann Hesse



    Ich hatte den Rechner schon aus, da fiel mir auf dem Bettrand dieses Gedicht in die Augen.
    Da hab ich den Rechner wieder angemacht und es hierher gebracht.
    Als Kind bin ich oft im Sommer auf der Wiese neben unserem Haus auf dem Rücken gelegen und hab in den Himmel geschaut und in die Wolken geträumt.
    Diese Bilder von damals hat das Gedicht in mir hochgeholt. Nun schlafe ich mit seligen Kindheitserinnerungen ein.
     
    cooley, .cvzbaer., AUK1 und 4 anderen gefällt dies.
  10. Lottchen

    Lottchen Stammspieler

    Mir ist so nach "Vom Eise befreit sind Strom nd Bäche..., aber für "Den Osterspaziergang" ist es noch etwas früh, da hab ich beim Durchstöbern der unendlichen Weiten des Inets ein schönes Vorfrühlingsgedicht gefunden.

    Vorfrühling


    Da draussen rauscht der Regen,
    Der Wind braust überm Land;
    Doch leise webt den Segen
    Des neuen Lenzes Hand.

    Sie lockt aus Strauch und Bäumen
    Der Knospen grünen Schein,
    Sie schmückt mit lichten Säumen
    Der Wälder düstre Reih'n.

    Sie webt schon an dem Kleide
    Der stillen Erdenbraut,
    Die bald zu aller Freude
    Dem Frühling wird getraut.

    Mag jetzt der Sturm nur tosen,
    Er knickt die Hoffnung nicht.
    Bald winken uns die Rosen
    Und blüh'n Vergissmeinnicht.

    - Emerenz Meier 1874-1928, deutsche Schriftstellerin -

    Hoffe, das ist so ok mit der Veröffentlichung und ich verletze keinen copyright. Ansonsten bitte Edit(h) rufen.

    Hermann von Gilm (1812-1864)
    Die Mutter
    Leise atmend, halb entschlummert
    Liegt das Kind im Bettchen klein,
    Plötzlich durch das offne Fenster
    Schaut der Abendstern herein.
    Und nach ihm mit beiden Händen
    Laut aufweinend langt das Kind:
    "Mutter, Mutter, hol' mir diesen
    Schönen Stern herab geschwind!"
    "Dummheit!" ruft der Vater zornig
    Hinter einem Zeitungsblatt,
    "Was der Fratz von dritthalb Jahren
    Für verrückte Launen hat!
    Denk' man: dreißig Millionen
    Meilen weg und ein Planet,
    Der zweihundertvierundzwanzig
    Tage um die Sonne geht!"
    Doch die Mutter tröstet leise:
    "Schlaf', mein Engel! Diese Nacht
    Hol' ich dir den Stern vom Himmel,
    Der dir so viel Freude macht;
    Morgen früh, hier auf dem Bette
    Findest du den Edelstein" -
    Und das Kind, in Tränen lächelnd,
    Schläft am Mutterherzen ein.
     
    Zuletzt bearbeitet: 15 Februar 2016
    cooley, .cvzbaer., killle und 2 anderen gefällt dies.
  11. Jane_Doe51

    Jane_Doe51 Lebende Forenlegende

    Meer

    Wenn man ans Meer kommt
    soll man zu schweigen beginnen
    bei den letzten Grashalmen
    soll man den Faden verlieren

    und den Salzschaum
    und das scharfe Zischen des Windes
    einatmen
    und ausatmen
    und wieder einatmen

    Wenn man den Sand sägen hört
    und das Schlurfen der kleinen Steine
    in langen Wellen
    soll man aufhören zu sollen
    und nichts mehr wollen wollen
    nur Meer

    Nur Meer

    Erich Fried
     
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  12. killle

    killle Lebende Forenlegende

    Die Einladung

    Es interessiert mich nicht, womit du dein Geld verdienst.
Ich will wissen, wonach du dich sehnst und ob du die Erfüllung deines Herzenswunsches zu träumen wagst.
    

Es interessiert mich nicht wie alt du bist.
Ich will wissen ob du es riskierst, dich zum Narren zu machen,
auf der Suche nach Liebe, nach deinem Traum, nach dem Abenteuer des Lebens.
    

Es interessiert mich nicht, welche Planeten ein Quadrat zu Deinem Mond bilden.
Ich will wissen, ob du deinem Leid auf den Grund gegangen bist und ob dich die Ungerechtigkeiten des Lebens geöffnet haben,
oder ob du dich klein machst und verschließt um dich vor Verletzungen zu schützen.
    

Ich will wissen ob du den Schmerz - meinen oder deinen eigenen - ertragen kannst.,
ohne ihn zu verstehen, zu bemänteln, oder zu lindern.


    Ich will wissen, ob du Freude - meine oder deine eigene - aushalten kannst,
dich hemmungslos dem Tanz hingeben und jede Faser deines Körpers von Ekstase erbeben lassen kannst,
ohne an Vorsicht oder Vernunft zu apellieren. oder an die Begrenztheit des Menschseins zu denken.
    

Es interessiert mich nicht, ob das, was du erzählst, wahr ist.

    Ich will wissen, ob du andere enttäuschen kannst, um dir selber treu zu bleiben" ob du den Vorwurf des Verrates ertragen kannst, 
um deine eigene Seele nicht zu verraten, ob du treulos sein kannst, um vertrauenswürdig zu bleiben.


    Ich will wissen, ob die Schönheit des Alltäglichen erkennen kannst,
selbst wenn sie dir nicht immer angenehm ist und ob ihre Allgegenwärtigkeit die Quelle ist, aus der du die Kraft zum Leben schöpfst.

    Ich will wissen, ob du mit Unzulänglichkeiten leben kannst
- meiner und deiner eigenen - und immer noch am Seeufer stehst und der silbrigen Scheibe des Vollmondes ein uneingeschränktes "ja" zurufst.


    Es interessiert mich nicht, wo du wohnst, oder ob du reich bist.

    Ich will wissen, ob du nach einer kummervoll durchwachten Nacht, zermürbt und müde bis auf die Knochen, aufstehen kannst, 
um das Notwendige zu tun, damit deine Kinder versorgt sind.


    Es interessiert mich nicht, wen du kennst, oder wie du hierher gekommen bist.

    Ich will wissen, ob du inmitten des Feuers bei mir ausharren wirst, ohne zurück zu weichen.
    

Es interessiert mich nicht, wo oder was du mit wem studiert hast.
    
Ich will wissen, was dich von innen heraus trägt, wenn alles andere wegbricht.
    

Ich will wissen, ob du mit dir selbst alleine sein kannst,
und ob du den, der dir in solch einsamen Momenten deines Lebens Gesellschaft leistet wirklich magst.

    

von Oriah Mountain Dreamer
     
  13. Pfefferminz_Patty

    Pfefferminz_Patty S-Moderator Team Farmerama DE

    Denn nichts bringt doch zurück die Zeit,
    das glänzende Gras, der Blumen Herrlichkeit.
    Wir trauern nicht, sondern es treibt uns die Kraft
    von dem was übrig bleibt.
     
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  14. bimima

    bimima Lebende Forenlegende

    Lob Der Krummen Möhre

    Wir loben Dich,guter Gott,
    für all das Gute,was Du geschaffen hast.

    Wir danken Dir für die krummen Möhren.
    Wir danken Dir für die winzigen und für die riesigen Kartoffeln.
    Wir danken Dir für die köstlichen gefleckten Tomaten.
    Wir danken Dir für die kleinen Äpfel-mit und ohne Schorf.
    Wir danken Dir für die krummen Gurken.

    Wir preisen Dich für die unendliche Vielfalt in Deiner Schöpfung,
    für die Phantasie und Kreativität,
    mit der Du alles geschaffen hast.
    Wir loben Dich,dass sich dieser Reichtum nicht in wenige Normen zwängen lässt.

    Wir danken Dir,dass Du auch uns Menschen sehr unterschiedlich geschaffen hast.
    Wir danken Dir,dass Du nicht nach dem Aussehen urteilst.
    Wir danken Dir,dass Du jeden und jede von uns liebst,mit all unseren Fehlern und Macken.

    Lg
     
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  15. Jane_Doe51

    Jane_Doe51 Lebende Forenlegende

    Wunsch

    Was ich mir wünsche:
    Dir Märchen erzählen
    erst wenn der Wolf
    sich schlafen gelegt hat.

    Anders gesagt:
    Meine Stirn
    an deine Schulter lehnen
    wenn ich müde bin
    deinen Geruch
    einsaugen
    bis das Herz weiterschlägt.

    Ich will mir
    deine Liebe nicht verdienen müssen.

    Nevfel Cumart
     
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  16. killle

    killle Lebende Forenlegende

    Du mußt nicht bangen, Gott. Sie sagen: mein
    zu allen Dingen, die geduldig sind.
    Sie sind wie Wind, der an die Zweige streift
    und sagt: mein Baum.
    Sie merken kaum,
    wie alles glüht, was ihre Hand ergreift, —
    so daß sie‘s auch an seinem letzten Saum
    nicht halten könnten ohne zu verbrennen.

    Sie sagen mein, wie manchmal einer gern
    den Fürsten Freund nennt im Gespräch mit Bauern,
    wenn dieser Fürst sehr groß ist und — sehr fern.
    Sie sagen mein von ihren fremden Mauern
    und kennen gar nicht ihres Hauses Herrn.
    Sie sagen mein und nennen das Besitz,
    wenn jedes Ding sich schließt, dem sie sich nahn,
    so wie ein abgeschmackter Charlatan
    vielleicht die Sonne sein nennt und den Blitz.
    So sagen sie: mein Leben, meine Frau,
    mein Hund, mein Kind, und wissen doch genau,
    daß alles: Leben, Frau und Hund und Kind
    fremde Gebilde sind, daran sie blind
    mit ihren ausgestreckten Händen stoßen.
    Gewißheit freilich ist das nur den Großen,
    die sich nach Augen sehnen. Denn die Andern
    wollens
    nicht hören, daß ihr armes Wandern
    mit keinem Dinge rings zusammenhängt,
    daß sie, von ihrer Habe fortgedrängt,
    nicht anerkannt von ihrem Eigentume,
    das Weib so wenig haben wie die Blume,
    die eines fremden Lebens ist für alle.
    Falle nicht, Gott, aus deinem Gleichgewicht.
    Auch der dich liebt und der dein Angesicht
    erkennt im Dunkel, wenn er wie ein Licht
    in deinem Atem schwankt, — besitzt dich nicht.
    Und wenn dich einer in der Nacht erfaßt,
    so daß du kommen mußt in sein Gebet:
    Du bist der Gast,
    der wieder weiter geht.

    Wer kann dich halten, Gott? Denn du bist dein,
    von keines Eigentümers Hand gestört,
    so wie der noch nicht ausgereifte Wein,
    der immer süßer wird, sich selbst gehört.

    R.M.Rilke
     
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  17. Jane_Doe51

    Jane_Doe51 Lebende Forenlegende

    Mein schönes Wunderland

    Es schwimmt auf hohen Wogen
    Ein schönes Wunderland;
    Bald nah, bald wieder ferne,
    Von wen'gen nur gekannt.
    Ein Land, wo ew'ge Sonnen
    Am Firmamente stehn,
    Wo wunderschöne Menschen
    In Rosen schlafen gehn.
    Wo Märchenbilder rauschen
    Durch laue Waldesnacht
    Und Blumen Küsse tauschen
    In tausendfarb'ger Pracht.
    Wo Liebe, Götterfreiheit
    Das reine Leben küßt;
    Wo alles voller Wunder,
    Wo alles glücklich ist. -
    Ach, nur in Liedern weilet
    Mein Land so schön und hehr;
    Ich mag es hoffen, ahnen,
    Doch schauen nimmermehr.

    Theodor Storm
     
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  18. killle

    killle Lebende Forenlegende

    Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,
    siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,
    aber wie klein auch, noch ein letztes
    Gehöft von Gefühl. Erkennst du's?
    Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund
    unter den Händen. Hier blüht wohl einiges auf; aus stummem Absturz
    blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.
    Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann
    und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.
    Da geht wohl, heilen Bewußtseins,
    manches umher, manches gesicherte Bergtier,
    wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel
    kreist um der Gipfel reine Verweigerung. - Aber
    ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens....

    R.M. Rilke
     
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  19. keki6464

    keki6464 Kaiser des Forums

    Die Brücke am Tay

    "Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
    "Um die siebente Stund', am Brückendamm."
    "Am Mittelpfeiler."
    "Ich lösch die Flamm'."
    "Ich mit."
    "Ich komme vom Norden her."
    "Und ich vom Süden."
    "Und ich vom Meer."

    "Hei, das gibt ein Ringelreihn,
    und die Brücke muß in den Grund hinein."
    "Und der Zug, der in die Brücke tritt
    um die siebente Stund'?"
    "Ei, der muß mit."
    "Muß mit."
    "Tand, Tand
    ist das Gebild von Menschenhand."

    Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
    alle Fenster sehen nach Süden aus,
    und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
    und in Bangen sehen nach Süden zu,
    sehen und warten, ob nicht ein Licht
    übers Wasser hin "ich komme" spricht,
    "ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
    ich, der Edinburger Zug."

    Und der Brückner jetzt: "Ich seh einen Schein
    am andern Ufer. Das muß er sein.
    Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
    unser Johnie kommt und will seinen Baum,
    und was noch am Baume von Lichtern ist,
    zünd alles an wie zum heiligen Christ,
    der will heuer zweimal mit uns sein, -
    und in elf Minuten ist er herein."

    Und es war der Zug. Am Süderturm
    keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
    und Johnie spricht: "Die Brücke noch!
    Aber was tut es, wir zwingen es doch.
    Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
    die bleiben Sieger in solchem Kampf,
    und wie's auch rast und ringt und rennt,
    wir kriegen es unter: das Element.

    Und unser Stolz ist unsre Brück';
    ich lache, denk ich an früher zurück,
    an all den Jammer und all die Not
    mit dem elend alten Schifferboot;
    wie manche liebe Christfestnacht
    hab ich im Fährhaus zugebracht
    und sah unsrer Fenster lichten Schein
    und zählte und konnte nicht drüben sein."

    Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
    alle Fenster sehen nach Süden aus,
    und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
    und in Bangen sehen nach Süden zu;
    denn wütender wurde der Winde Spiel,
    und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
    erglüht es in niederschießender Pracht
    überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

    "Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
    "Um Mitternacht, am Bergeskamm."
    "Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm."
    "Ich komme."
    "Ich mit."
    "Ich nenn euch die Zahl."
    "Und ich die Namen."
    "Und ich die Qual."
    "Hei!
    Wie Splitter brach das Gebälk entzwei."
    "Tand, Tand
    ist das Gebilde von Menschenhand"
    Theodor Fontane​
     
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  20. killle

    killle Lebende Forenlegende

    Nebel

    Seltsam im Nebel zu wandern!
    Einsam ist jeder Busch und Stein,
    Kein Baum kennt den andern,
    Jeder ist allein.

    Voll von Freunden war mir die Welt,
    Als noch mein Leben licht war,
    Nun, da der Nebel fällt,
    Ist keiner mehr sichtbar.

    Wahrlich, keiner ist weise,
    Der nicht das Dunkel kennt,
    Das unentrinnbar und leise
    Von allen ihn trennt.

    Seltsam im Nebel zu wandern!
    Leben ist Einsamsein.
    Kein Mensch kennt den andern,
    Jeder ist allein.
    - Hermann Hesse, Eine Fußreise im Herbst
     
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